Architekturfotografie

Fine Art Architekturfotografie

Fine Art Architekturfotografie in Schwarz-Weiß mit Langzeitbelichtung


Gastartikel von Martin Schmidt

Bei einem Blick durch die schier zahllosen Posts auf den einschlägigen Fotografie-Blogs muss man konstatieren: Architektur ist nicht gerade ein aktuelles Fotografie-In-Thema. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt man, wenn man den Buchmarkt zum Thema Fotografie durchstöbert – nicht ansatzweise kann die Zahl der Bücher zum Thema Architektur mit der Zahl der Bücher zur People- oder Landschaftsfotografie mithalten.

Im April 2011, also vor knapp drei Jahren, habe ich angefangen, mich ernsthaft mit der Fotografie auseinanderzusetzen. Zu Beginn faszinierte mich vor allem die Nachtfotografie, HDR- oder Landschaftsfotografie. Wie also bin ich zu schwarz-weiß Langzeitbelichtungen moderner Architektur gekommen? Die Antwort ist einfach: Durch die Inspiration großer Vorbilder.

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Das Genre ist meiner Einschätzung nach noch relativ jung. Diejenigen Fotografen, die ich als die Vorreiter des Genres ansehe, sind immer noch aktiv. Als ich das erste Mal die Bilder von Joel Tjintjelaar, Julia Anna Gospodarou oder Kevin Saint Grey gesehen habe, kreiste sofort eine Frage und ein Wunsch in meinem Kopf herum:

  • Die Frage: Wie machen die das?
  • Der Wunsch: Das will ich auch können!

Allen, die auch von dieser sehr speziellen Art der Fotografie fasziniert sind, möchte ich einen Einblick in meine subjektive Antwort auf die Frage geben. Diejenigen, die sich jetzt allerdings ein technisches Video-Tutorial vorstellen, in dem von der Auswahl des Graufilters bis hin zu Arbeit mit Ebenenmasken und Gradientenverläufen in Photoshop jeder Arbeitsschritt detailliert beschrieben wird, muss ich enttäuschen. Ein solches Video wäre der zweite Schritt vor dem ersten.

Es soll hier vielmehr um die gründliche Beantwortung solch grundlegender Fragen gehen wie

  • „Warum Schwarz-Weiß?“ oder
  • „Warum Langzeitbelichtung?“

Zunächst ist zentral, was jeder Fotograf für jedes seiner Fotos haben sollte, bevor er es schießt (und für das unser geschätzter Altkanzler Schmidt all diese Fotografen zum Arzt schicken würde):

Die Vision

Das was heute von Joel Tjintjelaar als Vision oder von Julia Anna Gospodarou mit ihrem fotografischen Neologismus Envisionography bezeichnet wird, sind neue Worte für das, was bereits Ansel Adams als Prävisualisierung bezeichnete.

Wenn Adams im Yosemite National Park stand und eine Szenerie betrachtete, sah er zugleich den fertigen Print. Ein Beispiel: Er wusste, dass der Mond in seinem Bild „Moon and Half Dome“ auf Zone VII und die Schatten auf Zone II und III landen sollen und er wusste, wie die dadurch entstehenden Kontraste die Bildwirkung und den Blick des Betrachters bestimmen werden.

Die Prävisualisierung ist für mich der wesentliche Bestandteil von dem, was gemeinhin als „Fine Art“ Fotografie bezeichnet wird: Es wird nicht dokumentiert, sondern es wird nach den Vorstellungen und Zielen des Fotografen ein Bild gezeichnet.

Wie übertragen sich aber diese Gedanken auf die Architekturfotografie? Eine fotografische Vision für ein Motiv kann nicht entstehen, wenn das Motiv den Fotografen nicht fasziniert. Was aber ist es, dass den Reiz, das Besondere, der Architektur ausmacht?

Jeder hat hier wohl seine eigene Antwort. Le Corbusier, einer der bedeutendsten Vertreter der modernen Architektur, schrieb:

„Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unten dem Licht versammelten Baukörper.“

Dieses Zitat umfasst zwei der drei für mich wesentlichen Bestandteile der Fine Art Architekturfotografie: Das Licht und die Baukörper. Letzteres interpretiere ich als passiver Betrachter der Architektur (im Gegensatz zum aktiven Architekten) als das Zusammenspiel von Material und Form.

Die noch fehlende Zutat ist für mich die Zeit, d.h. der Wandel der Wirkung des Baukörpers, wenn sich das Licht ändert. Jedes gute Foto wird mit der Frage des Fotografen geboren, was er mit dem Foto aussagen oder welche Stimmung er transportieren möchte.

Architekturfotografie

Fineart Architekturfotografie

Wenn ich ein Gebäude entdecke, dass mich fasziniert und ich mich entschließe, es zu fotografieren, kommen in mir die folgenden Fragen auf:

  • Was macht dieses Gebäude für mich so interessant?
  • Was ist das Besondere an der architektonischen Form und seiner Materialität?
  • Wie spielt der Baukörper mit dem (sich ändernden) Licht?
  • Wie erzeugt die Form Kontraste durch Licht und Schatten, die meine Wahrnehmung der Architektur bestimmen?
  • Wie erzeugt die Materialität Kontraste durch Reflektion und Absorption von Licht, mit denen der Architekt bestimmen wollte, welche Wirkung die Architektur haben soll?

Nach Beantwortung dieser Fragen stellt sich die Frage nach der Selektion der architektonischen Merkmale und ihrer Wirkung. Minimalismus ist ein, wenn nicht der, charakteristische Bestandteil vieler Fine Art Architekturfotos. Die Kompositionen folgen nahezu immer Antoine de Saint-Exupéry:

„Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“

Hierfür bietet sich moderne Architektur mit ihren klaren Strukturen, reduktionistischen Formen und ihrer teilweise simpel anmutenden Materialität an. Es ist offensichtlich, dass eine reduktionistische und minimalistische Architekturstudie einfacher an einem Hochhaus von Mies van der Rohe („Weniger ist mehr.“) zu realisieren ist als an einem französischen Barockschloss.

Außerdem fasziniert mich Form und Struktur (als Mathematiker vielleicht eine Berufskrankheit). Mich reizt das geometrische in der Architektur und hierbei in meiner Fotografie nicht etwa die Verspieltheit des Barock, sondern die Reduktion auf elementare Formen moderner Architektur.

Der Auswahl des oder der (wenigen) architektonischen Merkmale folgt dann die Frage nach der fotografischen Realisierung der Lichtwirkung auf oder durch die Merkmale. Licht und Schatten übersetzt sich in der Fotografie in Weiß und Schwarz. Der Übergang zwischen Licht und Schatten ergibt Verläufe zwischen Hell und Dunkel. An diesem Punkt liegt auch die Begründung für die fast ausschließliche Wahl von Schwarz-Weiß in meiner Architekturfotografie versteckt.

Ich bin der Überzeugung, dass sich Le Corbusiers obiges Zitat fast immer in Schwarz-Weiß Fotografie übersetzen lässt: Zur Darstellung von Licht, Schatten und ihrer Übergänge braucht es keine Farbe. Das Leitmotiv des Minimalismus führt dann folgerichtig auf die Nutzung von Schwarz-Weiß. Selbstverständlich ist diese Argumentation, genau wie alle anderen Argumentationen in diesem Artikel, höchst subjektiv. Ich will nicht sagen, dass Architekturfotografie in Farbe Unsinn ist – ich will sagen, dass ich Farbe für meine fotografische Interpretation der Architektur als störend empfinde. Mehr noch: Sie blockiert mich in ihrer Komplexität in meiner Form des Ausdrucks und meine fotografischen Interpretationen verlieren durch sie an Ausdruckskraft.

Zuletzt soll noch die Frage beantwortet werden, warum ich die Technik der Langzeitbelichtung für meine Architekturaufnahmen wähle. Dafür gibt es zwei wesentliche Begründungen.

  1. Der von mir gewünschte Fine-Art-Look beinhaltet insbesondere sanfte Verläufe zwischen unterschiedlichen Grautönen. Die lange Belichtung sorgt dafür, dass beispielsweise auf Glasfassaden der Übergang zwischen Licht und Schatten sehr viel weicher verläuft. Kurzum: Die Modellierung mit dem vorhandenen Licht fällt mir durch die Nutzung von Langzeitbelichtungen sehr viel leichter.
  2. Architektur ist statisch. Nur in den allerseltensten Fällen gibt es dynamische Fassadenelemente. Für meinen Geschmack fehlt einem rein statischem Foto aber das gewisse Etwas. Da ich extreme Froschperspektiven bevorzuge, habe ich immer Himmel im Bild und dieser Bildteil bietet mir, gemeinsam mit der Langzeitbelichtung, die Möglichkeit, Bewegung in mein Bild zu integrieren: Wolkenbewegung.

Ich kann mir vorstellen, dass mein Blick auf die Architekturfotografie sehr individuell anmutet. Ebenso hoffe ich, dass meine Bilder Fotos mit eigenem Stil sind, die auf den Betrachter eigenständig und vielleicht auch überraschend wirken.

Meiner Meinung nach liegt der Schlüssel zu individuellen Fotos in einer individuellen Betrachtung des Motivs. Ich hoffe, ich konnte euch meinen individuellen Schlüssel etwas näher bringen.

Das ist ein Gastartikel von Martin Schmidt

Martin lebt in Hannover und arbeitet als Mathematiker an der Leibniz Universität Hannover. Seit knapp drei Jahren widmet er sich der Fotografie. Es hat einige Zeit gedauert, bis sich seine schon längerwährende Begeisterung für Architektur mit der für Fotografie paarte. Seit Mitte 2012 aber fotografiert er hauptsächlich Architektur mit Langzeitbelichtungen in schwarz-weiß.

Weitere seiner Arbeiten findet Ihr unter www.schmaidt.de oder in seinen Profilen bei flickr oder 500px.

Architekturfotografie

Schwarzweiß Architekturfotografie

Architekturfotografie Monochrom

23 Kommentare zu „Fine Art Architekturfotografie“

  1. Sehr gute Bilder ! Habe mir neulich eine Nachtaufnahme vom Empire State Building auf Leinwand drucken lassen. Nun hängt es in meiner Wohnung und sieht bemerkenswert aus. Zwar ist es es eher klassisch, aber macht sich trotzdem gut, wenn ich Besuch habe 🙂

  2. Wow, mein erster Gedanke:
    Die Frage: Wie macht ER das?
    Der Wunsch: Das will ich auch können!
    Machst Du die Bilder nachts? Ich finde der Himmel wirkt einfach spitze im Zusammenhang mit den Gebäuden. Die Bilder und die Frage „Wie macht er das?“ werden wohl noch eine ganze Weile in meinem Kopf rumgeistern. Echt spitzen Bilder!

    Gruß
    Oli

  3. Hallo Martin!
    Da will ich erst einmal eins zu sagen: Alle Achtung!

    Du hast Dich mit dem Thema wirklich beschäftigt und zeigst ein Niveau, dass viele gar nicht erreichen werden. Am meisten fasziniert mich der Bezug zu den Großen. Ich hätte nicht vermutet, dass ich die Begriffe der Prävisualisierung und der Zonen aus dem Zonenlineal mal woanders lese, als im Zusammenhang mit meinem kleinen „Studium“.

    Davon abgesehen, macht mich der Bericht ein bißchen stolz, dass wir einen wie Dich in unserem Grüppchen haben.

    Hut ab!

    Meinen Respekt und einen herzlichen Gruß
    Holger

  4. Moinsen,
    nachdem ich angefangen habe mich dem Thema Architekturfotografie etwas ausführlicher zu widmen und mich Dein Portfolio schon vor einiger Zeit beeindruckt hat ist die Veröffentlichung Deines Artikels ein weiterer Schritt Deine Arbeiten einem größeren Kreis vorzustellen und zu würdigen.
    Gratulation und Danke.

    Hans+++

  5. Hallo Michael, Hallo Martin,
    vielen Dank für den Artikel und die aussagekräftigen Bilder. Ich habe damit wieder mehr Anregungen für mein fotografisches TUN bekommen.
    VG Uwe

  6. @Frank: Danke für dein Lob!

    @Oliver: Freut mich, dass meine Bilder bei dir Interesse geweckt haben. Kurze Antwort: Die Bilder entstehen tagsüber und die Himmel sind meistens durch eine starke Bearbeitung des Blautons in der Schwarz-Weiß-Konvertierung (Stichwort: Rotfilter) und weitere Bearbeitung in Photoshop so dunkel. Aber für mich machen sie auch in spezieller Art und Weise das „gewisse Etwas“ bei vielen der Bilder aus. Zu den eher technischen Seiten, wie ich die Bilder tatsächlich fotografiere und wie ich sie bearbeite, wird es in naher Zukunft bestimmt auch irgendwo einen Artikel von mir geben. Einfach dran bleiben – auf http://www.schmaidt.de findest du unten auf jeder Seite ja alle möglichen Seiten, bei denen du bzgl. meiner Fotografie auf dem Laufenden bleiben kannst.

    @Holger: Naja, wenn man von den Großen nicht in allen Belangen etwas lernen könnte, wären sie ja nicht die „Großen“, oder? 😉

    @Hans: Schön, dass du mir schon länger folgst und das dir meine Art der Fotografie gefällt.

  7. Hallo Martin,

    erstes Kompliment…ich habe zu Ende gelesen! Ich finde Deine Herangehensweise sehr interessant und die Vorgehensweise noch mehr. Das werde ich auf jeden Fall auch mal umsetzen und mal schauen…
    Zweites Kompliment…Deine Bilder gefallen mir sehr, mich würde noch interessieren, ob und i.d.R. wie viel Du nachbearbeitest.

    Viele Grüße Michael

  8. @MARTIN SCHMIDT
    Du bist bereits auf meine Lesezeichen gespeichert 😉 und ich habe dort schon geschaut.
    Ein großes Danke und Lob an Dich, dass Du kein Geheimnis daraus machst wie Deine Bilder entstehen, ich glaube so etwas zeichnet den erhabenen Profi aus. Noch einmal vielen herzlichen Dank für die Ideen die Du in mir geweckt hast (auch wenn sie jetzt wie ein Augenwurm in meinem Kopf rumspucken).
    Gruß
    Oli

    @Micha,
    Da hast Du Dir ein prima Gastautor geangelt! 😉

  9. @Michael: Die Bilder sind sehr viel nachbearbeitet. Im Wesentlichen arbeite ich die gesamte Bildstimmung etc. in Photoshop, Lightroom und NIK Silver Efex Pro 2 heraus. Das ist aber nochmal ein gesamtes Thema für sich. Aber dazu werde ich in Zukunft auch nochmal was schreiben. Wenn es dich interessiert, kannst du mir einfach bei den einschlägigen social network Seiten folgen oder auf http://www.schmaidt.de (unten auf der Seite) den Newsletter abonnieren. Dort findest (unten auf der Seite) findest du auch die Links zu meinen social network Profilen.

    @Oliver: Na na, jetzt übertreib‘ aber ‚mal nicht 😉 Als „erhabenen Profi“ betrachte ich mich keineswegs. Aber trotzdem nett von dir – das hört man immer gerne! 🙂

  10. Pingback: Architekturfotografie in schwarzweiß › kwerfeldein - Fotografie Magazin

  11. Pingback: Foto des Monats: Februar – “Langzeitbelichtung” « Oliver Teskes Foto-Blog

  12. Hallo an Michael und Martin,
    ich habe diesen Artikel auf meinem Blog verlinkt und erwähnt dass ich mich auf dem Gebiet auch mal versuchen möchte und mein erstes Bild dazu veröffentlicht. Ich hoffe das ist für Euch OK so?!

    Gruß
    Oli

  13. Wunderschöne ästhetische Bilder, die durch die gewählte Perspektive und Lichtführung faszinieren. Auch für mich ein unbekanntes Terrain, aber total interessant. Danke fürs Zeigen!!
    Viele Grüße
    Nora

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